Wie ein Fehler auf der EU‑Plattform PICASSO Extrempreise auslöste – Folgen für Deutschland

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Glühbirne zerspringt for EU Flagge

Am 22. und 23. Oktober 2025 kam es auf der europäischen aFRR‑Energieplattform PICASSO zu ungewöhnlich hohen marginal Preisen – in einzelnen Zeitfenstern Mehrtausend Euro je MWh. Auslöser waren laut Marktberichten fehlerhafte Verarbeitungen von Geboten in der Plattformkette. Deutsche Übertragungsnetzbetreiber und Aufsichtsstellen prüften bzw. leiteten Sofortmaßnahmen ein. Für Haushalte in Deutschland sind direkte Auswirkungen unwahrscheinlich; Marktteilnehmer im Bilanzkreis- und Regelenergiemarkt sind hingegen betroffen.

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Was ist am 22.–23. Oktober 2025 passiert?

Mehrere europäische Regelzonen beobachteten auf dem aFRR‑Energiemarkt (automatische Sekundärregelleistung) stark vom Normalniveau abweichende Marginalpreise. Der finnische TSO Fingrid bestätigte am 23.10.2025 eine Untersuchung „außergewöhnlicher“ aFRR‑Preise am 22.–23.10. und kündigte Folgemaßnahmen an. Marktberichte nennen ein technisches Fehlverhalten bei der Angebotsverarbeitung in der PICASSO‑Kette als Ursache, wodurch Gebote teilweise falsch interpretiert und extreme Preise berechnet worden sein sollen.

Wichtig: Die Ereignisse betrafen die aFRR‑Energieaktivierung (Regelenergie) – nicht den Day‑Ahead‑ oder Intraday‑Großhandelsmarkt. Entsprechend wirken Preisauffälligkeiten primär über Ausgleichsenergie und Regelarbeitsabrechnung, nicht unmittelbar über Börsentarife für Haushalte.

Wie PICASSO funktioniert – und welche Preisgrenzen gelten

PICASSO ist die von den europäischen ÜNB betriebene Plattform zum grenzüberschreitenden Austausch von aFRR‑Energie. Deutschland (50Hertz, Amprion, TenneT TSO GmbH, TransnetBW) ist seit Juni 2022 angebunden. Die Plattform ermittelt in kurzen Takten einen grenzzonenübergreifenden Marginalpreis (CBMP) aus den gemeldeten Bedarfen und Angeboten.

Zur Eindämmung extremer Ausreißer hat ACER 2024 Anpassungen der Preisbildungs‑Methodik und technische Preislimits beschlossen; parallel liefen Konsultationen zu Preisbandgrenzen und „elastischer Nachfrage“ der ÜNB. In den ACER‑Entscheidungen wurden unter anderem die CBMP‑Berechnung verfeinert; Konsultationsunterlagen sahen einen Übergangsrahmen von ±10.000 €/MWh (bis Juli 2026) und perspektivisch ±15.000 €/MWh vor.

Dass einzelne Märkte 2025 dennoch kurzfristig extreme Werte sahen (bis über 4.000 €/MWh und darüber), ist aus unabhängigen Marktanalysen dokumentiert; der 22.–23.10.2025‑Fall reiht sich in eine Kette von Preisauffälligkeiten seit 2023 ein.

Was taten die deutschen ÜNB – und was wird geprüft?

Die vier deutschen ÜNB (50Hertz, Amprion, TenneT, TransnetBW) betreiben PICASSO‑Prozesse im deutschen Regelzonenverbund. Bei atypischen Marktergebnissen kommen interne Plausibilitätsprüfungen, Transparenzmeldungen und – falls erforderlich – definierte Fallback‑Mechanismen (z. B. Ersatzpreislogiken für Aktivierungen) in Betracht, um fehlerhafte Marktsignale nicht unreflektiert in Abrechnungs- und Steuerprozesse durchzureichen. Für den 22.–23.10.2025 wird branchenintern von temporären manuellen Verifikationen und der Nutzung von Ersatzparametern berichtet.

Öffentliche TSO‑Datenseiten (u. a. TransnetBW/Regelleistung, Netztransparenz.de) dokumentieren grundsätzlich Grenzpreise, ausgetauschte aFRR‑Mengen sowie Module, aus denen sich der deutsche Ausgleichsenergiepreis (AEP) speist. Diese Quellen sind für Marktteilnehmer die maßgeblichen Anlaufstellen zur Nachvollziehbarkeit.

Aufsicht und Regulierung: BNetzA und ACER

National ist die Bundesnetzagentur (BNetzA) für die Regulierung des deutschen Ausgleichsenergiesystems und Transparenzanforderungen zuständig; EU‑weit legt ACER zentrale Methodiken und Preisrahmen für die Balancing‑Plattformen fest. Nach mehreren Preisspitzen seit 2023 hat ACER 2024 die PICASSO‑Regelwerke (Preisbildung, Implementierungsrahmen, inkl. elastischer Nachfrage) angepasst. Ob die BNetzA im konkreten Fall 22.–23.10.2025 zusätzliche Berichte/Anordnungen an die ÜNB gerichtet hat, war bis Redaktionsschluss öffentlich nicht dokumentiert.

Konkrete Auswirkungen in Deutschland

1) Bilanzkreisverantwortliche (BKV) und Lieferanten

  • Der Ausgleichsenergiepreis (AEP) leitet sich u. a. aus PICASSO/MARI‑Preisen (VWAP), einem Intraday‑Index (ID‑AEP) und einer Knappheitskomponente ab. Extreme aFRR‑Preise können deshalb – je nach Modulgewichtung – indirekt auf den AEP durchschlagen.
  • Folge: temporär höhere Ausgleichskosten für unterteilte Bilanzkreise bzw. potenzielle Erlöse bei Überdeckung; Risiko‑ und Margenmanagement der Lieferanten sind unmittelbar betroffen.

2) Anbieter von Regelarbeit (BSP, z. B. BESS, KWK, Demand Response)

  • Aktivierungszahlungen können bei Ausreißern stark variieren; gleichzeitig besteht Ex‑post‑Korrekturrisiko bei festgestellten Datenfehlern. Teilnahmebedingungen und Gebotslogiken sollten auf Plausibilitäts- und Caps‑Szenarien geprüft werden.

3) Handelsabteilungen und Proprietary Trading

  • Die Korrelation zwischen aFRR‑CBMP, ID‑Preisen und AEP verlangt angepasste Hedging‑ und Limit‑Systeme. Einzelfallbezogene, sehr kurze Aktivierungsfenster (4‑Sekunden‑Takte) können operative Risiken erhöhen.

Praxischeck für Marktteilnehmer:

  • Bilanzkreis‑Abweichungsanalysen für 22.–23.10.2025 und Abgleich mit veröffentlichten AEP‑Modulen durchführen.
  • Gebotsautomatik/Algorithmik (aFRR up/down) auf Edge‑Cases testen; Preisgrenzen und Failover‑Routinen überprüfen.
  • Clearing‑ und Settlement‑Positionen (Regelarbeit, Ausgleichsenergie) auf potenzielle Korrekturen überwachen.

Sehen deutsche Haushalte oder Endkundentarife direkte Effekte?

Kurzfristig: nein. Standard‑Haushaltsprodukte (Grundversorgung, Fix‑, Index‑ oder dynamische Börsentarife) koppeln nicht direkt an aFRR‑Aktivierungspreise, sondern an Day‑Ahead/Intraday. aFRR‑Spitzen wirken primär auf die Ausgleichsenergie der Lieferanten. Mittelbar können erhöhte Ausgleichskosten die Kalkulation einzelner Produkte beeinflussen – aber keine automatische, sofortige Durchleitung auf Bestandskundenpreise auslösen.

Italien, Nordics, Baltikum: Der breitere europäische Kontext

Italien hatte seine PICASSO‑Teilnahme im März 2024 wegen Preisbildungsanomalien pausiert und bereitet den Wiedereintritt nach „Dry‑Runs“ im Oktober 2025 vor; Marktbeobachter erwarten dennoch nicht automatisch eine „Negativpreis‑Flut“, verweisen aber auf höhere Liquidität und neue Sicherungen. Gleichzeitig meldeten die Nordics (z. B. Dänemark) wiederholt sehr hohe aFRR‑Preisspitzen aufgrund von Liquiditäts- und Kuppelkapazitätsengpässen; die baltischen Staaten sind 2025 schrittweise beigetreten.

Wie geht es weiter? Technische und regulatorische To‑do's

  • Plattform‑Stabilität: Analyse des 22.–23.10.‑Ereignisses (Fehlerbild, Datenpfade, Gebotsvalidierung), ggf. temporäre Fallback‑Regeln schärfen.
  • Methodik‑Feinschliff: Umsetzung der ACER‑Entscheidungen (Preisbildung/CBMP, elastische Nachfrage) und der konsultierten Preisbandgrenzen in nationalen Prozessen.
  • Transparenz/Ausgleichsenergie: Fortlaufende Publikation der AEP‑Module und aFRR‑Kennzahlen über Netztransparenz/ÜNB‑Seiten.

Hintergrund: Deutschlands Rolle in PICASSO
Die vier deutschen ÜNB (50Hertz, Amprion, TenneT, TransnetBW) waren 2022 unter den ersten Teilnehmern der aFRR‑Austauschplattform. Seither wird aFRR über eine europaweite Merit‑Order kostenoptimal abgerufen – ein Kernbaustein für Versorgungssicherheit und Effizienzgewinne.

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